Angefangen hatten wir unser Weihnachtstreffen vor sechs Jahren. Ich glaube, es hatte mit dem plötzlichen Tod von Jans Frau zu tun, die kurz vor Weihnachten das Zeitliche segnete.
Wunderbare drei Jahre waren wir zu fünft, bis Hans uns verliess, und dieses Jahr, achtundzwanzig Tage vor Weihnachten, folgte ihm Toni. Er hatte sich an einem Ast, der unter seiner Last fast abgebrochen wäre, am Stüssihof an einem Baum erhängt.
Nun sassen wir da, um den runden Tisch drapiert, wie alte Aasgeier im verbrannten Braten stochernd, stumm und jeder in sich gekehrt seinen Gedanken nachschweifend, die zwei leeren Stühle zwischen uns. Toni hatte sich jedes Jahr über den Baum mokiert, was mich, den ich ihn immer mit viel Liebe am Abend zuvor geschmückt hatte, alle Jahre wieder masslos ärgerte.
Ich bin seit Jahren Atheist, habe also mit Religion gar nichts am Hut, und doch bedeutet mir Weihnachten, ein geschmückter Baum, schimmernde Kerzen, en fürstliches Essen auf dem Tisch, Weihnachtsgebäck, Freunde und alles Drum und Dran einfach alles. Ich will mich nicht rechtfertigen, geschweige denn, mich in eine Position hineinmanövrieren, die mir gar nicht zusteht. Und doch … Weihnachten und Kindheit, für mich nicht trennbar, nicht wegzudenken.
Dieses Jahr, in Gedenken an Toni, hatte ich es sein lassen. Nur drei Kerzen, auf ein altes Tannenzweiglein gesteckt, schmückten den Platz.
Inzwischen war der Zeiger der Uhr zwei Stunden weiter gerückt, das Essen vom Tisch, nur noch die Weingläser standen vor uns, der überfüllte Aschenbecher und die vierte Flasche Wein, die ich gerade geöffnet hatte.
Da klopfte es an der Tür. Ungläubig schauten meine Freunde und ich uns an. Da wiederholte sich das Klopfen, jetzt aber erheblich lauter und drängend. Fritz ruckte an seinem Stuhl, und ich wollte mich gerade erheben, als die Falle nach unten gedrückt wurde. Dann, im Schein der Laterne, erkannten wir erst nur die Konturen dieses Menschen, bis er ungefragt in die Stube trat, und uns der Atem wegblieb. In Sekundenschnelle wirbelte er um seine eigene Achse, zog blitzschnell einen Baum in den Raum und schloss die Türe.
Wie festgenagelt sassen wir da. Keiner von uns brachte nur eine Silbe eines Wortes über die Lippen. Wir waren erstarrt, im wahrsten Sinne des Wortes.
Lange, mir schien es eine Ewigkeit, blieb es muxmäuschenstill, bis er, ohne ein Wort zu sagen, die drei Kerzen samt Tannenzweiglein auf der Anrichte platzierte und an ihren Platz den Baum stellte. Es ging alles so flink vonstatten, dass wir mit den Augen kaum nachfolgen konnten. Der Baum, eine Weisstanne, nahm fast die Hälfte des Raumes ein. Noch nie hatte ich so ein Prachtexemplar zu Gesicht bekommen. Der Stamm wies schnurgerade gen Himmel, die Äste waren wie durch Meisterhand geformt und ein jeder explizit an seinem Platze. Nun öffnete er ein Fenster. Spinnen, in jeder Grösse und Sorte, kraxelten Richtung Baum, um dort in Windeseile ihre filigranen Netze zu weben. Alle Arten von Vögeln schwebten in sanftem Fluge in die Stube und setzten sich artig auf die dunkelgrünen Zweige nieder, ein Zaunkönig auf die Spitze des Baumes. Zu guter Letzt folgten die Glühwürmchen.
Als nun der Baum in seiner vollen Pracht erleuchtete, wandte sich Toni mir zu.
„Deine prachtvollen Weihnachtsbäume haben mir all die Jahre so viel Freude bereitet! Leider war ich damals nicht fähig, es auch zu zeigen. Ihr wart die besten Freunde, die man sich wünschen kann. Hätte ich nur einmal den Mut aufgebracht, euch das wissen zu lassen, wäre der Ast am Stüssihof wohl abgebrochen.“
Und mit diesen Worten lösten sich seine Konturen auf. Der Baum aber erst viele Stunden später.